Die Politisierung der Lewinskys

Es ist ihr erstes gemeinsames Interview, und man merkt, dass sie es nicht auf die leichte Schulter nehmen. Der Schriftsteller Charles Lewinsky, 64, und sein Filmemacher-Sohn Micha, 37, geben im Zürcher Restaurant Volkshaus Auskunft über ihr neu erwachtes politisches Engagement und warum sie sich für die Ablehnung der Ende November zur Abstimmung stehenden Ausschaffungsinitiative einsetzen.

Micha Lewinsky, machen Sie immer, was der Papa sagt?

Micha Lewinsky: Ähm, nein.

Charles Lewinsky: Es ist auf jeden Fall lange nicht mehr vorgekommen.

Micha L.: Aber in diesem Fall…

Haben Sie eine Serie von politischen Kurzfilmen realisiert, weil Ihr Vater geschrieben hat, dass man sich engagieren soll?

Micha L.: Nein, so war es dann doch nicht. Es hat uns beiden gleichzeitig den Nuggi herausgejagt. Nachdem die Anti-MinarettInitiative angenommen worden war. Wir fanden es beschämend, dass das geschehen konnte und dass wir nichts dagegen gemacht haben. Das war die Politisierung der Lewinskys.

Soll politisches Engagement bei den Kulturschaffenden nun Schule machen?

Micha L.: Es ist nicht schwer, mit Engagement anzustecken: Mein ganzes Team und auch der Schauspieler Hanspeter Müller-Drossaart haben gratis mitgemacht. Alle waren erleichtert, etwas beitragen zu können.

Und Sie, Charles Lewinsky, haben Sie mitgearbeitet?

Charles L.: Ich hatte einen ersten Entwurf geschrieben. Er hat sich nicht durchgesetzt.

Darf man erfahren, worum es ging?

Charles L.: Nein . Micha L.: Doch, ich will es erzählen. Es ging um jemanden, der am Arbeitsplatz abgeholt wird mit dem Befehl, er müsse jetzt eine Ausschaffung vornehmen.

Charles L.: Die Szene sollte zeigen: Auch wer nicht abstimmen geht, ist mitverantwortlich, wenn die Ausschaffungsinitiative angenommen werden sollte .

Micha L.: Und dass viele Wähler anders entscheiden würden, wenn sie die Ausschaffung selber vornehmen müssten, gerade wenn hier aufgewachsene Kinder von Tätern das Land verlassen müssten.

In den nun realisierten Filmen geht es um eine Schulklasse, in der ausländische Kinder vor die Tür gestellt werden …

Micha L.: … und eben, nur ausländische. Die Schweizer Kinder dürfen beim gleichen Vergehen drinbleiben. Alle Kinder, die mitgespielt haben, waren sich einig: Das ist ungerecht.

Charles L.: Sowohl die Initiative wie der Gegenvorschlag sind ungerecht. Zudem noch fremdenfeindlich und darum zutiefst unschweizerisch. Sie dürfen beide nicht angenommen werden.

Micha L.: Das ist die Aussage meiner Kurzfilme.

Das SVP-Plakat «Ivan S., Vergewaltiger – bald Schweizer?» funktioniert schneller!

Charles L.: Es ist eine Holzhammer-Parole – wir aber vertrauen darauf, dass Schweizer Stimmbürger auch nachdenken.

Micha L.: Ivan S. ist übrigens kein Vergewaltiger, er ist ein Fotomodel! Sein Bild kann man für 50 Franken im Internet kaufen.

Wollen Sie denn, dass Vergewaltiger bleiben können?

Micha L.: Logisch will ich keine Verbrecher in meiner Nachbarschaft. Doch diese Leute werden heute schon ausgeschafft. Nur wenn man die Worte «kriminelle Ausländer» oft genug wiederholt, denken alle, wie der pawlowsche Hund, beim Wort «Ausländer» irgendwann nur noch «kriminell».

Die Ausgliederung Fremder ist in ganz Europa zu beobachten.

Charles L.: Ja, es haben viele gemerkt, dass man mit Hetze gegen Fremde Stimmen gewinnen kann. Aber das ist eine Pendelbewegung. Die wird auch wieder zurückschwingen. Nur wollen wir uns nicht verkriechen und erst in zwanzig Jahren wieder schauen, ob sich etwas verändert hat.

Darum sind Sie in eine Partei eingetreten?

Charles L.: Ja. Aber wir folgen einander nicht, wir sind nicht einmal in der gleichen Partei gelandet.

Wieso nicht?

Charles L.: Ich vermute, wenn ich eine Generation jünger wäre, wäre ich auch bei den Grünen und nicht bei der SP. Ich bin aber nicht die Sorte Parteimitglied, das Prospekte verteilt und Plakate klebt. Ich kann dafür meine Cervelatprominenz dazu gebrauchen, um mich öffentlich zu äussern und Diskussionen anzuregen.

Rot-Grün bei den Lewinskys. Machen Sie jetzt linke Kultur?

Charles L.: Wir verteidigen eine Position, die mit der Schweizer Bundesverfassung übereinstimmt. Seit wann ist die ein linkes Dokument?

Es gibt eine alte Hollywoodregel: Wenn du eine Botschaft hast, schicke ein Telegramm.

Micha L.: Genau. Und diese Kurzfilme sind jetzt mein Telegramm. Allerdings: Kleine Botschaften haben wir immer eingestreut … Du zum Beispiel in die Sitcom «Fascht e Familie»…

Charles L.: Obwohl es gar keine bewusste Botschaft war. Wir haben damals die Figur Annekäthi erfunden, und die richtige Besetzung dafür war nun mal eine Schweizerin mit dunkler Hautfarbe. Viele Leute fanden das «mutig». Mir war das gar nicht erst aufgefallen.

Micha L.: Wie bei meinem Film «Die Standesbeamtin». Die dunkelhäutige Jennifer MulindeSchmid hat mir erzählt, dass es für sie das erste Mal war, dass sie nicht Asylantin, Putzfrau oder Opfer spielen musste, sondern eine gewöhnliche Sekretärin.

Haben Sie als Kind viel vom Beruf Ihres Vaters mitbekommen?

Micha L.: Was meinen Sie? Dass wir schon im Sandkasten dramaturgische Strukturen büffelten?

Charles L.: Und in der Krippe aristotelische Dramentheorie verhandelten … Nein, im Ernst. Ich erinnere mich, dass meine Tochter nach einer Fernsehsendung, die ihr nicht gefallen hatte, mich darum gebeten hat, ihr eine Bescheinigung zu schreiben, dass sie adoptiert sei.

Was war der beste Rat, den Sie vom Sohn bekommen haben, Charles Lewinsky?

Charles L.: Er hat einmal gesagt: Ich möchte in deinem Manuskript stärker merken, wie Sachen riechen. Das Wort «riechen» hat mich überrascht, aber: Er hatte recht.

Wenn man Lewinsky heisst und im Film und Fernsehen tätig ist, Micha, dann ist der Vater nie weit, oder?

Micha L.: Ja. Ich bin der Sohn. Das ist normal für mich. Aber es ist natürlich aufregender, in der Zeitung zu sein wegen der Inhalte und nicht wegen dem, wofür ich nichts kann.

Charles L.: Mich hat es sehr gefreut, als eine junge Frau mich mal nach einer Lesung mit grossen Augen gefragt hat: Sind Sie etwa verwandt mit dem Regisseur Micha Lewinsky?

Charles Lewinskys Roman «Melnitz» ist ein Bestseller. Würden Sie ihn nicht gerne verfilmen, Micha?

Charles L.: Es fehlt nur noch eine Kleinigkeit.

Was?

Charles L.: 10 Millionen Franken. Falls Sie die gerade im Sack haben, können wir loslegen.

Micha L.: Eher 20 Millionen! Aber für die Schweiz ist dieser Film, der zu einem guten Teil im 19. Jahrhundert spielt, schlichtweg nicht finanzierbar. Schade.

Draussen vor der Tür

Publikumsliebling Hanspeter Müller-Drossaart («Sennentuntschi») spielt in den AbstimmungsKurzfilmen von Micha Lewinsky einen Lehrer, der ausländische Kinder vor die Tür setzt. Normal produziert hätten sie 100 000 Franken gekostet, dank Gratisarbeit waren nur Materialkosten von 5000 Franken fällig. Bezahlt hat die der Verein Kunst und Politik. Zu sehen sind sie ab jetzt in ausgewählten Kinos und im Internet.

(www.vor-die-tuer.ch)

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