Die Südafrikanerin Marlene Dumas, eine Kaskade blonder Locken, wogende weiche Brust und ansteckendes Kichern, ist die Malerfürstin unserer Zeit. Oder das Nächste, was an die Bezeichnung herankommt. Ich durfte sie im Vorfeld ihrer grossen Ausstellung in der Fondation Beyeler in London treffen – hier mein Bericht.
Männliche Malerfürsten kennt man – mit wenigen Ausnahmen kommen sie aus Deutschland: Gerhard Richter, Georg Baselitz, Markus Lüpertz. Sie sind virtuos, selbstsicher, haben eine imperiale Malgeste und sagen Sachen wie kürzlich Baselitz dem «Spiegel»: dass die Frauen nicht malen können.
Nun, diese eine kann. Darüber gibt es keinen Zweifel. Selbst bei ihren Kritikern nicht. Ihr virtuoser Strich, die mühelose Beherrschung der Farbe, die schnellen Wechsel zwischen Tusche, Öl, Acryl, Aquarell, wobei Öl nicht selten wie Aquarell aussehen kann, die stupende Verwandlung der medialen Bilderflut in Tableaus von existenzieller Tiefe – darin gleicht Marlene Dumas vielleicht am ehesten dem grossen Gerhard Richter, dass sie das alles nur so aus dem Pinsel schütteln kann. Die grossen Retrospektiven der letzten Jahre haben ein Land nach dem anderen in den Zustand der Be- und auch Verwunderung über ihre beflügelte Fertigkeit versetzt. Die, welche in zwei Wochen in die Fondation Beyeler kommt, war schon (leicht anders) in Amsterdam und in der Tate Modern in London zu sehen.
Sammler halten an ihren Werken mit religiösem Eifer fest
«Oh, nein, nein», ruft Marlene Dumas bei unserem Treffen in einem Londoner Café unweit der Tate und schüttelt ihre unbändigbare Mähne. «Nennen Sie mich nicht Meisterin! Vor jedem neuem Werk stehe ich perplex da und weiss nicht, wo beginnen.» Und dann lacht sie, als ob sie mir gerade einen guten Witz erzählt hätte.
«Wenn man erst tot ist, scheint alles so wunderbar logisch, solange man aber lebt …» sie winkt ab, «… it is a mess, a mess!», ruft sie dann laut, bis sich die Köpfe nach uns umdrehen. Ihr südafrikanisch gefärbtes Englisch wärmt, die sorglose Herzlichkeit auch. «A mess», das heisst Chaos, denkt man, der Urzustand, aus dem alles Leben entstand.
Nichts bereitet einen weniger vor auf die quirlige Lebhaftigkeit von Marlene Dumas’ Person als ihre Werke. Sie sind weder unordentlich noch üppig. Auch nicht fröhlich. Der Humor, der hie und da vorkommt, ist eher schwarzer oder derber Art. Und doch treffen einen ihre Bilder mitten ins Gesicht. Sie erschüttern jede Gewissheit – was ist gut, was ist böse? Wozu sind wir auf dieser Erde? Und warum so kurz?
Veronikas Schweisstuch mit dem Gesichtsabdruck Jesu stellt man sich so wie diese Bilder vor. Die Farbe wässrig, die Linie rudimentär, der Ausdruck aufs Wesentliche reduziert. Eine trauerlose Ahnung des Todes schlummert in all diesen Porträts, Figuren, Szenen, auch wenn sie handfeste Erotik ausstrahlen.
Kein Wunder, halten Sammler von Marlene Dumas’ Werken an ihrem Besitz mit religiösem Eifer fest. Sotheby’s gibt selbst zu, 5 Millionen Pfund Garantie einem Privatsammler für ein Werk geboten zu haben – vergeblich. Wenn mal etwas versteigert wird, bricht es schnell Rekorde. Wie «The Visitor» 2008, das sie mit 3,1 Millionen Dollar Zuschlagpreis kurz zur teuersten lebenden Künstlerin machte. Inzwischen ist sie die drittteuerste – nach Yayoi Kusama und Cady Noland.
Malt man so wie Dumas, wenn man mitten in der Apartheid in Südafrika aufgewachsen ist? Die 61-Jährige lebt erst seit den 1970er-Jahren in Holland. «In Südafrika», antwortet Dumas nachdenklich, «blieb vieles unausgesprochen. Das war das Schwierige.» Dann zieht sie ein Buch hervor, in dem sie einst schrieb: «Südafrika ist mein Inhalt, Holland ist meine Form, aber die Bilder, mit welchen ich mich beschäftige, kennt jeder.»
Anders als bei der Malerinnengeneration vor ihr, etwa bei Maria Lassnig oder Louise Bourgeois, erscheint bei Dumas der Frauenkörper nicht als wund. Mit ihren Brüsten, Haaren, mit ihren Beinen und Schenkeln sind Dumas’ «Models» oder «Magdalenas» besser geerdet als die Männer, deren gequälte Blicke von Zwang und Verrat erzählen und die sich manchmal an ihrer Erektion festhalten, als ob sie ihre letzte Zuflucht wäre.
Aber dann sind noch ihre Kinderbilder da. Sie zeigen Unschuld, deuten aber immer auch ihren Missbrauch an. Das stärkste darunter, «The Painter» von 1994, zeigt Dumas’ kleine Tochter Helena. Die eine Hand mit roter Farbe verschmiert, schaut die kleine Malerin trotzig unter der gesenkten Stirn hervor. Unheimlicher könnte die Wirkung eines Kinderbildes nicht sein. Das blasse Geschöpf scheint seine Hand ins Blut getaucht zu haben, die Augen leuchten dunkel, blaue Schatten lauern in des Kindes Schoss.
«Manche finden das nicht gut, dass ich meine Tochter so malte», sagt Dumas. «Aber das Bild hat mit ihr nichts zu tun.» Seltsamerweise stimmt das. Sie schafft es, ihre Sujets zu Trägern einer universellen Wahrheit zu machen, egal, ob die Vorlage aus dem Familienalbum oder aus der Zeitung stammt.
Den Medien entnahm sie etwa das Bild für ihr Porträt von Osama bin Laden. Als das Gemälde für die Sammlung des Stedelijk-Museums angekauft wurde, gab es in Holland Aufregung. Darf man den Terroristen so freundlich malen? Osamas Antlitz wirkt bei Dumas sanft entrückt. In den blau unterlaufenen Augen, in der sinnnlich geschwollenen Unterlippe ergiesst sich eine Energie, die nicht von dieser Welt zu sein scheint: der Jihadist als jüdischer Dibbuk.
Ihre Bilder sind oft nicht das, was sie zu sein scheinen
«Mediale Bilder scheinen das eine zu sein, sie zeigen aber in Wirklichkeit etwas anderes», sagt sie. Das reizt sie. Gerade solche Vorlagen sind ihr die liebsten. In «Wall Wailing» meint man etwa, orthodoxe Juden an der Klagemauer in Jerusalem beten zu sehen. Doch es sind Palästinenser, von den israelischen Soldaten an die Gaza-Trennmauer gestellt.
«Malen ist eigentlich weiblich», sagt Marlene Dumas, als ob sie damit ihre eigenwillige Geschichtsauslegung rechtfertigen wollte. «Oder besser gesagt, androgyn. Wie es Meret Oppenheim formulierte.» Was würde sie Georg Baselitz auf seine sexistische Unterstellung antworten? «Ich würde sagen, Herr Baselitz, Sie malen besser, als Sie meinen! Und Kopf hoch, ich mag deutschen Humor» – man sage ja, die Deutschen hätten keinen, flüstert sie mir zu und kichert.
«Marlene Dumas», Fondation Beyeler in Riehen, 31. 5. bis 6. 6.
Der Artikel ist am 24.05.2015 in der SonntagsZeitung erschienen