Keira Knightley erzählt mir in London über die animalische Unberechenbarkeit der Anna Karenina, Sexszenen und die grosse Liebe. Die Welt hat Keira Knightley bei der Schauspielausbildung zugesehen, denn die britische Mimin steht vor der Kamera, seit sie sieben Jahre alt ist. Nach Welthits wie «Bend It Like Beckham» und «The Pirates of The Caribbean» drehte sie in den letzten Jahren oft Filme mit dem Regisseur Joe Wright, der wie sie ein Brite ist. Für ihn hat sie in den Literaturverfilmungen «Pride and Prejudice» sowie «Atonement» die reifsten Rollen ihrer Karriere interpretiert. Nun tritt sie zum dritten Mal in einem Wright-Film auf, als Titelheldin seiner Verfilmung von Leo Tolstois Roman «Anna Karenina». Zwar klein und zerbrechlich, aber nicht mehr so gespenstisch dünn wie zur Zeit der «Piraten», erscheint Keira Knightley kurz vor der Premiere zum Interview im Londoner Claridges Hotel. Die dunklen Haare hat sie züchtig im Nacken zusammengebunden, sie trägt ein schwarzes Wollkleid, das den Prunk ihrer Karenina-Roben gar nicht erst auszustechen versucht.
Keira Knightley, es gab schon dreizehn Verfilmungen von «Anna Karenina». Macht das Angst?
Nein. Ich habe mir die anderen Filme gar nicht erst angeschaut.
Kein Respekt vor der Konkurrenz zu Greta Garbo?
Die «Karenina» mit Garbo habe ich früher mal im Fernsehen gesehen, doch ich erinnere mich nicht mehr daran. Ich wollte sie nicht noch einmal sehen, um nicht beeinflusst zu werden.
Aber den Roman haben Sie gelesen?
Oh ja. Sie müssten mein Exemplar mal sehen! Es ist doppelt so dick, weil ich so viele Post-it-Zettel dort reingeklebt habe. Für jedes Ereignis, für jede Figur verwendete ich eine andere Farbe. Auch für Kareninas Charakterzüge: rot für Leidenschaft, weiss für Wut. Am Ende gingen mir die Farben aus.
Bereiten Sie sich für jede Rolle so minutiös vor?
Ja. Es gibt Schauspieler, die auch ohne Vorbereitung das Richtige in einer Szene tun. Ich aber mache immer Hausaufgaben, wie ein braves Schulmädchen.
Trauen Sie Ihrem Instinkt nicht?
Doch, schon. Ich war aber früh in meinem Leben stark exponiert, deshalb durfte ich mir nie eine Blösse geben und habe es mir angewöhnt, gut vorbereitet zu sein.
Filme wie «Bend It Like Beckham» oder «Pirates of The Caribbean» haben Sie als Teenager berühmt gemacht. War das ein Problem?
Ja. Die Jahre zwischen 18 und 21 waren für mich echt schwierig. Mein Körper veränderte sich, ich wurde erwachsen, versuchte herauszufinden, wer ich bin, man kennt das. Nur, wenn man auch noch ständig Objektive auf sich gerichtet sieht, wird es noch viel schwieriger. Es hat Jahre gedauert, bis ich herausfand, wie ich mich dem entziehen kann.
Wie?
Man muss den Kopf einziehen. Natürlich ist es leichter, wenn man nicht gerade auf einer PR-Tour für einen Blockbuster ist.
Mit «Anna Karenina» betreten Sie jetzt den schauspielerischen Olymp.
Oh Gott, ja. Das habe ich beinahe körperlich gespürt. Diese Rolle war unendlich schwierig zu spielen.
Warum?
Weil sie eine so komplexe Figur ist. Elizabeth Bennett zum Beispiel, in «Pride and Prejudice», die mögen alle. Man muss sie sympathisch, natürlich und intelligent darstellen, damit ist es getan. Karenina aber ist ein Biest: Sie ist manipulativ, tückisch, sie will die Realität nicht erkennen, Konsequenzen nicht akzeptieren.
Erklärt das den Anna-Karenina-Fluch?
Was soll das sein?
Keine der Filmversionen ist je ein grosser Kassenerfolg geworden, obwohl die Rolle von den wichtigsten Schauspielerinnen gespielt wurde.
Das liegt daran, dass man sie in den Filmen zu gut gezeigt hat.
Wie meinen Sie das?
Na ja, in den meisten Verfilmungen hat man aus ihr eine romantische Leidende, ein Opfer ihrer Zeit gemacht. Aber damit wird man weder der Figur noch Tolstoi gerecht. Die Kraft der Karenina liegt gerade in ihrer animalischen Unberechenbarkeit.
Sie wollten sie unsympathisch zeigen? Das ist Ihnen misslungen.
Gut! Natürlich soll sie auch faszinieren. Dem Zuschauer soll es nicht egal sein, wenn sie sich am Ende unter den Zug wirft!
Selten hat man schönere Kleider in einem Film gesehen.
Das ist Jacqueline Durran zu verdanken. Sie hat schon das unvergessliche grüne Abendkleid für «Atonement» entworfen. Ihr Konzept war hier, die Figur von Anfang an mit Sachen zu umgeben, die an den Tod erinnern.
Den Tod? Sie trägt doch opulente Spitzen, Pelze, teuren Schmuck?
Pelze ersticken, Spitzenschleier wirken wie Spinnennetze, Federn auf den Hüten erinnern an tote Vögel … Und der Diamant ist der härteste aller Steine, kalt wie Eis.
Warum wirken diese Kleider dennoch so verführerisch?
Weil auch Sex drinsteckt. Die Röcke sind wie Unterwäsche geschnitten oder gar aus verknitterten Leintüchern geschneidert. Damit wollten wir diese intensive postkoitale Stimmung präsent halten.
Apropos Sex – nach den Sadomaso-Spielen zwischen Gustav Jung und Sabina Spielrein in «A Dangerous Method» haben Sie nun als Karenina ein Verhältnis mit einem jüngeren Mann.
Sexszenen oder sogar Szenen, in welchen man nackt sein muss, sind nicht wirklich schwierig. Man muss sich selber vergessen, das ist der Trick dabei. Anderes ist viel schwieriger.
Was zum Beispiel?
Intimität der Paare. Gesten, Bewegungen, die im echten Leben unbewusst bleiben. Diese natürlich hinzukriegen ist fast unmöglich. In diesem Film machten mir vor allem Szenen mit Jude Law Mühe, der Kareninas ungeliebten Ehemann spielt.
Warum?
Weil ich nicht wusste, wie weit ich in der Darstellung ihrer Gemeinheit gehen kann. Wir spielten die Szenen zum Teil fünfzigmal, in allen Gefühlsnuancen.
Klingt anstrengend.
Sehr! Der ganze Film ist ein so ehrgeiziges, wildes Projekt. Vom ersten Moment an, als Joe Wright sich entschieden hat, den Film nicht in Russland zu drehen, sondern auf der Bühne eines alten knarrenden Theaters in den Shepperton-Studios bei London, wussten wir alle, das uns etwas Besonderes bevorstand.
Wann hatte Wright die Idee?
Im letzten Moment! Sets wurden gebaut, während wir schon drehten.
Was war die Krux bei dieser Art der Arbeit?
Allein schon die Szenen technisch so perfekt hinzukriegen, wie Joe sie brauchte, war ein Ding der Unmöglichkeit. Wir brauchten endlose Wiederholungen. Jede unserer Bewegungen musste stimmen, auf den Millimeter genau.
Es ist verblüffend, wie viele historische Rollen Sie schon gespielt haben. Ist das Ihre Vorliebe oder die der Regisseure?
Ich glaube, meine. Ich liebe diese Art von Geschichten, auch wenn ich nicht erklären kann, warum. Ich liebe zum Beispiel historische Romane und sogar Geschichtsbücher. Und ich scheine gut im Kostüm zu funktionieren.
Sie spielen viele sehr romantische Rollen. Sind Sie selbst ein romantischer Mensch?
Ich glaube an die Liebe. Nur, wenn man viel arbeitet und oft unterwegs ist, kann das der Romantik schaden. Älter werden hilft: Je mehr man über sich selber weiss, desto mehr kann man sich einem geliebten Wesen offenbaren.
_______________________________________________________________________________
Eine Heldin zum Verlieben
Eigentlich erfand Leo Tolstoi (1828-1910) die Figur der Ehebrecherin Anna Karenina, um ein abschreckendes Beispiel zu setzen. Doch der russische Aristokrat, Pädagoge und Gesellschaftsreformer war vor allem eines: ein Vollblutschriftsteller. Darum hat er sich im Laufe des Schreibens in seine Heldin verliebt. So zumindest sieht es der Regisseur der aktuellen Verfilmung, Joe Wright («Pride and Prejudice», «Atonement»). Wright selbst hat den Mut, auch Kareninas unsympathische Züge zu zeigen und stellt ihr mit der Figur des Ehemanns einen starken Gegenspieler zur Seite. Jude Law spielt den pompösen Provinzpolitiker mit so viel langsamer Intensität, dass er dem Liebhaber («Kick-Ass» Aron Taylor-Johnson, hier mit blonden Pudellocken) die Show stiehlt. Der Film, kunstvoll in einem alten Theater in Szene gesetzt, ist wunderschön – und fast eine Spur zu komplex, um die Herzen ganz zu erobern.
«Anna Karenina» ab 6. 12. im Kino
Publiziert in der SonntagsZeitung am 25.11.2012