Um sich vorzustellen, was die junge Künstlerin Meret Oppenheim in den 30-Jahren des vergangenen Jahrhunderts dazu inspiriert hat, einen Goldring mit einem Zuckerwürfel anstelle des Edelsteins zu entwerfen, muss man die Steinzeit aber kaum bemühen. Junge Menschen haben oft Hunger, junge Künstler selten Geld, und so ein starker, süsser Tee kann die Lebensgeister an einem kalten Tag schön wecken.
Frau Oppenheim aus der Schweiz, in Paris mit den Surrealisten unterwegs, hatte ja damals einige Ideen, die den wichtigtuerischen Kollegen im Laufe der Jahre durchaus die Schau stahlen: eine Echse zum Ans-Ohr-Hängen, ein Knochencollier für um den Hals und vor allem, natürlich, auch die berühmte Tasse im Pelz, die bis heute so etwas wie die «Mona Lisa» des Museum of Modern Art in New York ist.
Mir gefällt der süss bestückte Ring besser, und ich ziehe seinen Besitz jenem der anderen, teureren Werke vor. Mit so einem Ring ist man sowieso reich, denn man hat in jeder Lebenslage eine kleine Stärkung dabei. Man schleckt ein bisschen am Ring, und schon ist das Leben wieder süss. Glücklicherweise kommt das Schmuckstück (es wird nach dem Entwurf der Künstlerin wiederhergestellt) mit einem kleinen goldenen Werkzeug daher, sodass man einen Dorn der Halterung abschrauben und schnell einen neuen Würfel nachschieben kann.
Darüber hinaus ist Zucker wirklich schön. Kleine, weisse Kristalle, die beim Kontakt mit Flüssigkeit bereitwillig dahinschmelzen. O nein, Zucker hat es ganz und gar nicht verdient, der Ernährungsmiesepeter der Moderne zu sein. Man muss ihn einfach in Massen geniessen. Und die Süsse in ihrer ganzen, auch metaphorischen Tiefe auskosten. Ewa Hess
Publiziert in: objektliebe.tagesanzeiger.ch