Schloss Tantallon

Der alte Schotte Archibald Douglas war ein gefürchteter Mann. Wurde mir sofort klar, als ich auf einer Zinne seines Schlosses, Tantallon, stand. Weder der ruinöse Zustand der Trutzburg noch die grüne Lieblichkeit der schottischen Hügel rundum konnten darüber hinwegtäuschen, dass es sich hier um einen Raubvogelhorst handelte. Für Generationen der Douglases jener Ort, von dem aus sie den englischen Königen den Vogel zeigten.

Archibald Douglas, Archibald Douglas … Als ich da stand und dem Flug grosser weisser Meeresvögel nachschaute, wusste ich, dass mich der Name an etwas erinnerte. Und dann stiegen diese Worte aus den Abgründen des Gedächtnisses herauf: «Ich habe es getragen sieben Jahre, und ich kann es nicht tragen mehr.» Natürlich! Theodor Fontane! Seine Ballade «Archibald Douglas»! Mir klang das darum so präzise im Ohr, weil ich es einst gesungen hörte, von einer Platte, die damals in unserer Germanisten-WG im Repeat-Modus lief.

Fontanes Archibald ist ein alter Mann, der nach Jahren der Verbannung nach Schottland zurückkommt und König Jakob um Verzeihung bittet für das, was «meine Brüder dir angetan». Er erinnert den König an die Zeit, als er ihn schwimmen und jagen gelehrt, er fällt auf die Knie, bettelt, läuft in einer schweren Rüstung dem Pferd nach, kurz und gut, verhält sich so, wie keiner jener Douglases auf Tantallon, die ihrem Stolz nachlebten, dem König trotzten, über die Mägde herfielen und sämtliches Geflügel der Gegend auffrassen, je täte. Seltsam.

Ich muss gestehen, es hat mich nach der Rückkehr aus Schottland einige unnütze Stunden gekostet. Aber Erkenntnis lohnt die Mühe. Es war also – der Onkel. Der Onkel jenes gefürchteten Archibald Douglas, der 1514 eine Tudor geheiratet hatte und ihr königliches Kind, den kleinen Jakob, jahrelang in Gewahrsam hielt. Der Onkel hiess eben auch Archibald, war ein friedlicher Vikar von Kilspindie. Er war dem gefangenen Kind ein Freund und Lehrer.

Davon hat Sir Walter Scott 1802 berichtet. Den hat Fontane gelesen. Dem in Ungnade gefallenen Onkel 1854 eine Ballade gewidmet (und der Geschichte ein falsches Happy End angedichtet, dass der König am Ende verzeiht, was er in Wirklichkeit nicht tat. Der alte Douglas musste in der Fremde sterben). Und dann hat Carl Löwe 1857 eine Melodie dazu komponiert und Ferdinand Frantz 1956 ganz wunderbar gesungen, und ich weiss den Text noch heute auswendig.

Hey, wenn das nicht ein später Triumph der Sanftmut über die Machtgier ist! Da sage noch einer, die Welt belohne das Gute nicht. So ein Blödsinn!

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