Pritzkerpreis für Ban

Mit dem aktuellen Pritzker-Preis-Träger Architekt Shigeru Ban sprach ich vor anderthalb Jahren, als er das Meidenhaus der Tamedia baute. Ein charmanter und kluger Mann! Wir sprachen über das Bauen mit Holz und Karton, sein Vorbild Le Corbusier, die traditionelle japanische Lebensweise und einen Hut als Muster für das Dach des Centre Pompidou

von Ewa Hess

Der japanische Architekt Shigeru Ban, 56, hat Unterkünfte für die obdachlos gewordenen Menschen in Ruanda und Kobe entworfen und mit dem aus Papier erbauten Japan-

Pavillon an der Expo Hannover Geschichte geschrieben. Wir treffen den international gefragten Stararchitekten und Baumeister des neuen Medienhauses von Tamedia auf der Baustelle. Shigeru Ban, der eben aus Moskau kommt, wirft einen schnellen Blick auf die Fortschritte des Baus. Sein Gesicht bleibt undurchdringlich. Da es regnet, ist die Holzstr

uktur des Gebäudes mit einer orangen Plastikplane abgedeckt. Zumindest für die scheint er keine warmen Gefühle zu hegen. Im Gespräch merkt man allerdings schnell, dass die würdevolle Reserve nur eine Tarnung ist und dass der grosse Architekt durchaus auch zu Witzen aufgelegt sein kann.

Shigeru Ban, Sie sind berühmt für Bauten aus Papier. Aber das Haus für unser Medienunternehmenmit vielen Zeitungen bauen Sie aus Holz. Warum?

Das ist doch gar kein Widerspruch. Papier macht man schliesslich aus Holz. Betrachten Sie die Verwendung dieses Materials als eine Bewegung zurück zum Ursprung.

In Kenntnis Ihrer früherer Arbeiten haben wir uns auf einen filigranen Bau gefasst gemacht. Was man bisher sieht, ist eher eine archaisch grobe Struktur.

Sie kommt Ihnen archaisch vor? Ich sehe darin die Zukunft.

Warum?

Wussten Sie, dass bei einem Holzbau die Hälfte der CO2-Emission anfällt, verglichen mit einem Betonbau? Und nur ein Drittel dessen, was eine Stahlkonstruktion produziert. Zudem hat unser Holz schon eine Menge CO2 in Sauerstoff verwandelt, als es noch ein Baum war. Und: Es wächst im Gegensatz zu den anderen Baumaterialien nach . . .

Sie verwenden Holz aus umweltschützerischen Gründen?

Nein. Ich liebe Holz für seine Schönheit. Und es riecht so wunderbar. Als ich ein Kind war, wollte ich Schreiner werden.

Darum sind die Balken so dick?

Wieder falsch geraten! Die Übergrösse der Balken dient dem Feuerschutz.

Je mehr Holz, desto besser Feuerschutz? Klingt paradox.

Vielleicht, hat aber schon seine Richtigkeit. Wenn das Holz abbrennt, wird es zur Kohle, und Kohle hat sehr gute Feuerschutz-Eigenschaften. Nur muss man die Balken massiver als nötig machen. Dann bildet bei einem Brand die Kohle eine Schutzschicht um den Holzkern.

Die traditionellen japanischen Häuser sind ebenfalls aus Holz, stammt Ihre Begeisterung für dieses Material daher?

Nein, für mich gehört das Holz zur Schweiz.

Warum?

Weil in diesem Land die Technologie für solche Bauten am weitesten fortgeschritten ist. Auch für das Centre Pompidou in Metz habe ich mit einem Schweizer Ingenieur zusammengearbeitet, übrigens mit dem gleichen wie für Ihr Haus.

Zürich gilt im Schweizer Vergleich als langweilig in Sachen moderne Architektur.

Zu Unrecht. In Zürich steht ein Gebäude, das mich schon ganz früh als Architekt geprägt hat. Das ist der kleine Pavillon von Le Corbusier am See. Ein Stück architektonischer Experimentierlust, dem ich durchaus nacheifere.

Nicht der japanischen Bautradition? Man meint sie in Ihren klaren Linien und leichten Strukturen zu erkennen.

Diese spielt bei mir schon eine Rolle, aber sozusagen aus zweiter Hand. Während meiner Ausbildung an der Cooper Union in den USA war ich sehr begeistert von den Case Study Houses, die in den 50er- und 60er-Jahren in Kalifornien gebaut wurden. Von Architekten, die während des Kriegs aus Europa nach Kalifornien kamen, wie Richard Neutra oder Rudolf Schindler, und die ihrerseits von den Grundsätzen der japanischen Architektur begeistert waren.

Ich fragte unseren Präsidenten Pietro Supino, weshalb er Sie ausgewählt hat, um das Tamedia-Haus zu bauen.

Und, was hat er gesagt? Ich muss gestehen, ich war sehr überrascht, als die Einladung kam.

Er sagte, dass er jemanden suchte, der mit dem Gebäude einen intelligenten Mehrwert schafft. Tun Sie das?

Hm. Das versucht doch jeder Architekt.

Eines Ihrer Häuser hat ihn besonders beeindruckt, das auf der Long Island bei New York.

Ah ja, das Sagaponac House. Es ist eines meiner sogenannten Furniture Houses, in welchen die Möbel schon in die Bauweise integriert sind.

Das sind Häuser, die man in Teilen auch transportieren kann.

Ja, genau. Und wenn man sie wieder zusammensetzt, sind die Möbel, also Schränke, Regale, Tische schon im Haus drin, weil sie in die Wände und in den Boden integriert sind.

Wie kommen Sie auf solche Ideen?

Japan ist ein Land, das in steter Erdbeben-Gefährdung lebt. Und bei einem Erdbeben passiert es oft, dass Häuser zerfallen, ohne die Menschen zu verletzen, schwere Schränke und Regale aber auf die Menschen fallen, mit schlimmen Folgen. Darum hatte ich die Idee, alles aus einem Guss zu machen. Das kostet weniger, gefährdet die Menschen nicht und sieht erst noch gut aus.

Steht Ihr humanitäres Engagement für Menschen, die ihre Häuser verloren haben, auch in Zusammenhang mit dieser Gefährdung, die in Japan allgegenwärtig ist?

Schwer zu sagen. Mein erster Einsatz fand nicht einmal in der Folge einer Naturkatastrophe statt, sondern in Ruanda, nach der Tragödie des Genozids.

Wie kam es, dass Sie damals die Notunterkünfte für die Flüchtlingslager entworfen haben?

Das war ein Moment in meinem Leben, als ich von meinem Beruf enttäuscht war. Ich dachte, wir Architekten helfen nur den reichen Menschen, mit ihrer Macht zu prahlen. Ich hatte das Bedürfnis, der Menschheit zu dienen. Und dann hörte ich von diesen riesigen Flüchtlingslagern in Ruanda, wo Menschen unter den Wetterbedingungen litten, weil die Unterkünfte, die die UNO ihnen zur Verfügung stellte, so schlecht waren.

Wie haben Sie die UNO überzeugt, dass Ihre Unterkünfte besser sind?

Ich fuhr nach Genf. Und wartete auf eine Audienz beim Hohen Flüchtlingskommissar, was ziemlich hoffnungslos war. Da traf ich, per Zufall, Herrn Neumann.

Muss ich den kennen?

Nein. Das war jener deutsche Architekt, der für die Unterkünfte zuständig war. Er hat mir zugehört, denn er hatte ein Problem.

Welches?

Sie verteilten Zelte, Plastikplanen mit Stäben aus wertvollem Aluminium. Die armen Flüchtlinge aber verkauften die Masten und fällten Bäume, um sie zu ersetzen. Nur: Zwei Millionen Menschen, die Bäume fällen, sind ein Umweltproblem.

Und Sie schlugen dann Kartonrollen vor?

Ja, das hat sie alle hellhörig gemacht. Denn die Rollen sind leicht und billig.

Wie kamen Sie darauf, dass man aus Kartonrollen, auf die unter anderem Toilettenpapier gewickelt ist, Häuser bauen kann?

Ich werfe nicht gerne Sachen weg. Und wir Architekten haben immer diese Kartonrollen, in welchen wir unsere Zeichnungen transportieren. Die stapelten sich in meinem Atelier, so kam ich darauf.

Sind Papierbauten überhaupt wetterfest?

Absolut. Man muss sie nur beschichten. Die Orangensaftpackung hält ja auch Flüssigkeit, obwohl sie aus Papier ist.

Wie lange kann eine solche Papierbehausung stehen bleiben?

In Kobe, wo ich sie auch angewendet habe, nach dem grossen Erbeben 1995, blieben sie zwei Jahre stehen. Aber sie halten auch länger.

Entwerfen Sie immer noch Häuser aus Papier?

Ja. Häuser, Brücken, Museen. Ich bin gerade daran, eine Kirche in Neuseeland gänzlich aus Papier zu bauen. In Christchurch. Die Kirche dort wurde vom Erdbeben zerstört.

Würden Sie eigentlich auch ein Shoppingcenter bauen?

Hm. Vielleicht, wenn der Erbauer an meiner Auffassung der Architektur interessiert ist . . . Aber nein, Shoppingcenter interessieren mich weniger.

Sie haben das Swatch Center in Tokio gebaut, in dem Uhren verkauft werden.

Ja, aber das war etwas anderes. Das war, wie für Tamedia, ein Firmengebäude für ein Unternehmen, das für seinen innovativen Geist bekannt ist. Und Herr Hayek liess sich weitgehend auf meine Experimente ein.

Wie auch seine Kinder mit dem grossen Neubauprojekt von Ihnen jetzt in Biel.

Ja, in Biel bauen wir drei Gebäude für Swatch und Omega, die einen Firmensitz und Showrooms umfassen. Auch Holzkonstruktionen übrigens.

Sind Museen eigentlich die Kirchen der heutigen Zeit?

Ich sehe eine Ähnlichkeit, die Sie vielleicht verblüffen wird. Den Kirchen laufen die Menschen davon und den Museen vielleicht bald auch.

Wie kommen sie darauf? Die Kunst erlebt gerade eine anhaltende Periode der Popularität.

Ja, aber inhaltlich entfernt sie sich vom Publikum. Die zeitgenössische Kunst ist so stark konzeptuell geworden, dass man sie nicht mehr versteht. Darum könnte ich mir vorstellen, dass die vielen Museen, die jetzt entstehen, bald Probleme bekommen.

War Ihnen dieser Gedanke beim Bau des Centre Pompidou in Metz gekommen?

Ja. Und er hatte Einfluss auf die Art, wie ich das Museum gestaltet habe. Das Haus ist keine mit Kunst gefüllte geschlossene Schachtel, sondern in erster Linie ein Ort, wo sich Menschen treffen können. Auch wenn sie keine Kunst schauen wollen.

Mir fällt auf, dass das Centre Pompidou in Paris, welches in den 70er-Jahren entstanden ist, wie eine Fabrik aussieht, und Ihres in Metz eher wie ein Nomadenzelt. Sind das Symbole dafür, wie wir unsere Zeit wahrnehmen?

Das lässt sich vielleicht so interpretieren. Ich als Architekt denke nicht so. Für mich ergibt sich die Form der Hülle aus der Funktionalität des Inneren. Ich brauchte in Metz ein Stockwerk, wo grosse Skulpturen ausgestellt werden können. Über diesen Raum habe ich dann ein Dach gesetzt . . .

Das doch wie ein Zelt aussieht.

Nein, wenn Sie es unbedingt wissen wollen – es ist ein Hut.

Ein Hut?

Ja, ein chinesischer Hut, den ich vor Jahren bei einem Trödler in Paris gefunden habe. Seine architektonische Qualität ist mir sofort aufgefallen. Eine Struktur aus Bambus, Ölpapier dazwischen. Ich habe seither in mehreren Gebäuden versucht, diese Struktur anzuwenden. In Metz ist es mir am besten gelungen.

Welche Rolle spielt der Computer in Ihren Entwürfen?

Es ist ein Werkzeug.

Das computerisierte Design hat die Architektur verändert.

Aber nicht zum Guten. Ohne Computer musste man länger nachdenken, bevor man zu bauen anfing. Und das war besser so. Ein Gebäude bleibt lange stehen, man sollte keine Tageseinfälle verwirklichen können.

Wie wohnen Sie selber?

Ich habe zwei Wohnungen. Eine in Paris, eine in Tokio. Die in Tokio habe ich selber entworfen.

Gibt es darin den traditionellen japanischen, mit Matten ausgelegten Tatami-Raum?

Nein. Für meine Generation hat ein solcher Raum keine Funktion mehr.

Warum nicht?

Weil sich unser Lifestyle verändert hat. Wir schlafen nicht mehr auf dem Boden.

Wirklich nicht? Hier im Westen sind doch alle wild auf Tatami, Futon, die japanische Lebensart . . .

Wir sprechen nicht vom Gleichen. Ein Bett in Futon-Form, das ist noch kein Tatami-Raum.

Nein? Worin liegt der Unterschied?

In der japanischen Architektur gab es einen multifunktionalen Raum, der fürs Schlafen, Essen und verschiedene Tätigkeiten gebraucht wurde, die mit der traditionellen Lebensweise zusammenhängen. Meine Grosseltern haben noch so gelebt. Bei meinen Eltern gab es westliche und japanische Räume. Und bei mir wäre ein Tatami-Raum nur noch eine Pose. Reine Folklore.

Essen Sie auch nicht japanisch?

Ich esse gerne das, was die Einheimischen im jeweiligen Land essen.

Was gab es gestern in Moskau?

Borschtsch, Piroschki und Buf Stroganoff.

Klingt gut. Und in der Schweiz essen Sie Rösti?

Auch, aber ich gehe in Zürich auch in ein japanisches Restaurant in der Nähe. Sein Besitzer hat in der Zeitung gelesen, dass ich hier baue, und kam auf die Baustelle, um mich in sein Lokal einzuladen.

Ihr zweiter Lebensmittelpunkt ist Paris. Warum die französische Hauptstadt?

Es ist ein praktischer Ort. Von hier aus ist man schnell überall in Europa, kann aber auch bequem nach Tokyo fliegen.

Sie leben nicht in Paris, weil Sie die Stadt mögen?

Paris ist schön. Lustigerweise heisst das Wort «schön» auf japanisch auch «sauber». In Japan sagt man darum: Paris ist schön, aber nicht sauber. Das ist ein Wortspiel, bringt aber den Gegensatz auf den Punkt. Mir hat Frankreich tolle Chancen geboten, aber auch viel Kummer bereitet.

Warum Kummer?

Dort zu bauen, ist ein Albtraum. Die Generalunternehmer in Frankreich sind die schlimmsten auf der ganzen Welt.

Warum?

Kaum haben sie den Auftrag, verwandeln sie sich in Feinde des Architekten. Sie erhöhen Preise, zögern Termine hinaus.

Ist das in der Schweiz anders?

Oh ja. Die Schweiz ist vielleicht der beste Ort auf der Welt, um zu bauen: freundliche Behörden, qualitätsbewusste Kunden . . . Das ist nur in Japan noch besser.

Inwiefern?

Japanische Kunden schweigen. Eine Einmischung gälte als unhöflich.

Welcher der Schweizer Architekten ist Ihnen am nächsten?

Peter Zumthor.

Warum?

Weil er, ähnlich wie ich, kontextbezogen baut. Jedes seiner Gebäude ist nur an dem Ort richtig, wo es gebaut wurde. Das strebe ich auch an. Zumthor allerdings ist die Qualität der Ausführung so wichtig, dass er nur in Europa baut. Ich hingegen baue gerne in fremden Ländern und mit lokalen Materialien, zum Beispiel mit Lehm in Sri Lanka.

Inwiefern ist das Tamedia-Haus richtig für den Ort wo es steht?

Unter anderem wegen seiner Beziehung zum Fluss.

Zur Sihl?

Ja. Als ich den Fluss gesehen habe, wusste ich sofort, dass er den Mitarbeitern den Atemraum öffnen wird.

Wie meinen Sie das?

Das Gebäude öffnet sich an schönen Tagen vollständig zum Fluss hin – die Fassade kann hochgezogen werden. Es ist ein Medienhaus, die Hektik ist gross. Das Wasser, die Natur bewirken, dass man wieder etwas ruhiger atmet, die Gedanken entspannen sich.

Publiziert am 16.09.2012 in der SonntagsZeitung

About Ewa Hess

Swiss journalist, Editor Arts @Sonntagszeitung, Zürich

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