Galerist Bruno Bischofberger erinnert sich

«Erstmals sah ich Werke von Jean-Michel Basquiat in der Ausstellung ‹New York, New Wave› 1981 in PS 1 in Queens. Der Kurator der Ausstellung war Diego Cortez, der mich persönlich einlud, die Ausstellung und vor allem die Bilder Basquiats zu sehen. Ich liebte die Bilder auf Anhieb und sagte dies Cortez und erwähnte unter anderem, dass sie mich an Twombly oder Dubuffet erinnern würden, was nicht despektierlich gemeint war. Erst später erzählte mir der Künstler, dass Cortez ihm über meine Bemerkung berichtet habe und dass er mir diese etwas übel genommen habe. Zum ersten Mal sah ich Basquiat selber im riesigen Kellerlager bei Annina Nosei, als sie mir dort ein Werk eines andern Künstlers zeigte. Er stand in einer weit entfernten Ecke, die ihm Annina als Atelier zur Verfügung gestellt hatte, und malte an einer Leinwand. Wir wollten ihn dabei nicht stören und verliessen den halb unterirdischen Raum wieder. Viel später erzählte Basquiat mir, dass er mich von weitem gesehen und gewusst habe, wer ich sei, mir aber immer noch gegrollt habe wegen meines Vergleichs mit Twombly und Dubuffet, die er allerdings selber gut fand.
Als ich wenige Monate später, im Mai 1982, hörte, dass Basquiatdie Galerie Annina Nosei verlassen hatte, wegen gewisser Differenzen mit der Inhaberin, besuchte ich ihn in seinem ersten Studio an der Crosby Street, welches er neu bezogen hatte. Wir vereinbarten, dass ich im Frühherbst in
Zürich eine Ausstellung haben und dass ich ab sofort sein Kunsthändler sein würde. Von da an hat mich JeanMichel Basquiat oft in der Schweiz
besucht, wo es ihm besonders gut gefiel. Etwa ein halbes Dutzend Mal in Zürich und genau siebenmal in St. Moritz, davon viermal
im Sommer.
Basquiat war ausserordentlich wissbegierig. Er wollte alles sehen, verstehen, mit den Menschen sprechen. Wir fuhren mehrmals gemeinsam ins Appenzell und Toggenburg. Einmal im September begleiteten wir in Innerrhoden einen Senn bei der Alpabfahrt. Es ging von der Alp Soll einige Stunden bis zum Haus des Bauern in Haseln, wo wir von den Sennen noch zum Zvieri eingeladen waren. Die Frauen interessierten sich besonders für Basquiats Rastalocken und kamen her, um sie zu berühren. Er lachte und berührte im Gegenzug die Frisuren der Senninnen. Einmal fuhr ich mit dem Künstler direkt vom Flughafen, wo ich ihn abholte, nach Neu St. Johann, wo an jenem Tag die Toggenburger Stierenschau stattfand. Im Ortsteil Siedwald standen auf einer Wiese einige Dutzend Stiere, um eingeschätzt und prämiert zu werden. Basquiat liebte die Atmosphäre, die monumentalen Stiere, die traditionell gekleideten, urchigen, stolzen Bauern. Ich sass mit einigen Bauern im Restaurant Gemsli, und wir begannen Karten zu spielen. Basquiat war sehr müde. Wir konnten für ihn im oberen Stock eine Kammer ergattern, und er zog sich dorthin zurück. Anstatt zu schlafen, hat er allerdings in den nächsten zwei Stunden vier fantastische, farbige Zeichnungen zum Thema Viehschau (‹Bullshow› IIV) gefertigt. Er erschien in der rauchigen Wirtschaft und legte die grosse Rolle mit den Zeichnungen, die sich öffneten, auf den Tisch. Auf diesen gab es Stiere, Bratwürste, und es wurden viele andere Eindrücke des Ereignisses eingeflochten wie zum Beispiel die Speisekarte: ‹Schweinsvoressen, Kutteln, Bürli etc.› Eine der Zeichnungen habe ich kurz darauf einem Sammler verkauft und sie Jahre darauf für das Vielfache wieder zurückerworben, damit sie wieder alle zusammen sind. Wenn ich Basquiat in New York anrief, schaute ich nie auf die Uhr, um zu berechnen, welche Zeit es dort ist. JeanMichel schlief, wenn er müde war, unabhängig der Tageszeit. Er war oft mitten in der Nacht wach und arbeitete im Atelier an Bildern. Oft schuf er mehr als ein Werk in einem Guss, aber noch mehr sah ich die Bilder über längere Zeit im Atelier herumstehen, wo er sporadisch an ihnen malte oder sie übermalte.
Es ist sehr traurig, dass dieser Ausnahmekünstler so früh gestorben ist. In den letzten Monaten seines Lebens gestand er mir: ‹You don’t know how unhappy I am.› (‹Du weisst nicht, wie unglücklich ich bin.›) Als ich erwiderte, ich könne es sicher schon etwas nachvollziehen, sagte er in lauter Stimme: ‹Nein, das kannst du nicht nachfühlen, das kann mir niemand nachfühlen. Er schien damals auch gesundheitlich angeschlagen, und er merkte wohl, dass es mit ihm bergab ging. Seine immense Begabung wurde durch seinen frühen Tod abgebrochen, ähnlich wie die fantastischen Werke von Charlie Parker oder Billie Holiday viel zu früh verstummten..»
Aufgezeichnet von Ewa Hess

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