An der Frieze in London sieht man zurzeit sehr viele zeitgenössische Maler mit klassischen Blumenbildern vertreten, wie hier John Currin mit „Rosebush“ am Stand von Sadie Coles Gallery (London) oder Elizabeth Peytons „Untitled(Les 3 Graces)“ bei Chantal Crousel Gallery (Paris). Lustig, gerade zum Thema der Blumenbilder schrieb ich in der letzten Nummer der Zeitschrift „Du“ meine Kolumne „Expecting Art“. (Es ist übrigens eine ganz tolle Du-Nummer, die von Maurizio Cattelan mitgestaltet wurde.)
Hier der Text:
Blumen und Pilze
„Expecting Art“ von Ewa Hess
Die Filmregisseurin Bettina Oberli erkennt einen vierblättrigen Klee mitten in einer Wiese sofort. Die überzählig ausgestatteten Kleepflanzen erscheinen ihr wie Blinksignale inmitten des homogenen Grüns. Das hat sie meinem Kollegen erzählt – er traf sie für ein Interview auf einer Wiese. Das von ihr enttarnte Kleeblatt brachte Matthias auf die Redaktion mit – es hatte tatsächlich ein Blättchen zu viel.
Es handle sich dabei, erklärte man mir später, um eine leicht autistische Deviation. Um einen Blick, dem eine Unregelmässisgkeit so ungeheur vorkommt, dass sie wie ein Sandkorn in der Auster – physisch – stört. Eigentlich müsste man annehmen, dass ein so gearteter Blick eine notwendige Voraussetzung für alles Künstlerische sein müsste. Ich stelle es mir allerdings so vor, dass ein grosser Künstler die Unregelmässigkeit, das spezifisch Ungeheuerliche, auch in einem dreiblättrigen Klee erkennen kann.
Gerade der Blick auf die ansonsten unverdächtige Flora offenbart oft eine visionäre Dimension. Visionär klingt dabei entschieden freundlicher als autistisch – und schliesslich hängt das eine mit dem anderen irgendwie zusammen. Das weiss man nicht nur aus dem Studium von Biographien grosser Forscher (aber auch daraus). Die modernsten der modernen Künstler wurden beim Anblick von Blumen schwach. Und zeigten gerade in der Darstellung ihrer Lieblichkeit, die leicht Gefahr laufen könnte, dem Trivialen zugeordnet zu werden, das ganz Besondere ihres Blicks auf die Welt. Von Piet Mondrian über Andy Warhol bis Robert Mapplethorpe und Fischli/Weiss: Blumen. So weit das Auge reicht.
Edouard Manet behauptete einst, dass «die Früchte, die Blumen und die Wolken» alles seien, was ein wirklicher Maler brauche, um alles auszudrücken, was es für ihn auszudrücken gebe. Das stimmte zwar nicht einmal für sein eigenes Werk – l’herbe wäre ohne die verschieden vollständig angezogenen Menschen darauf nicht zu diesem Grundstein der modernen Kunst geworden, als welches das Gemälde heute unverrückbar gilt. Doch für einen modernen Künstler ist es auf jeden Fall ein Akt des vorwitzigen Trotzes, der Askese-Erwartung, die ihm ja meistens gilt, mit Blümchen, Zweigchen und Blättchen ein Schnippchen zu schlagen.
Warhol etwa schickte seine Blumen nach Paris, um Europa eins auszuwischen. Es war zwar nicht seine allererste europäische Ausstellung, wie Bob Colacello in seinem Buch «Holy Terror» kolportiert, sondern die zweite in der Pariser Galerie von Ileana Sonnabend. Für die allererste Schau bei Sonnabend, die 1964 stattfand und tatsächlich seine erste in Europa war, schickte Warhol «hard stuff», also Bilder aus der Serie «Death and Disaster», die zu seinen am wenigsten zugänglichen und künstlerisch raffiniertesten gehören. Die zweite Pariser Schau, im Mai 1965, blieb aber im Gedächtnis der Zeitzeugen besser haften. Vielleicht weil Warhol an der Eröffnung seinen Rückzug von der Kunst ankündigte (er wollte damals gerade hauptsächlich Filmer werden, ein Entschluss, an den er sich später bekanntlich nicht gehalten hatte). Oder aber weil er in seinen 1980 gemeinsam mit Pat Hackett herausgegebenen Tagebüchern «Popism» von dieser zweiten Ausstellung erzählt. Demnach war sogar die ausbleibende Reaktion auf die erste Ausstellung für die Wahl der Werke für die zweite ausschlggebend: «In Frankreich interessierte man sich damals nicht für neue Kunstrichtungen», schrieb Warhol, «das brachte mich zu dem Entschluss, ihnen nur die Flowers zu schicken; ich dachte mir, das würde ihnen gefallen». Das tat es tatsächlich auch.
Dabei gilt die Blume in der klassischen Sprache der Malerei als Sinnbild sterblicher Zerbrechlichkeit und auch wenn bei Warhols stilisierten roten und blauen Knallern die Raupen und die Käfer fehlen, die bei den Holländern das baldige Vergehen der üppigen Pracht anzeigten, so haftet seinen monumentalen Flowers durchaus auch eine Aura von Verletzlichkeit und Nostalgie an. Nicht ohne Grund kam er erst nach den Autounfällen auf das Motiv der Allerweltsblume – als eines gut getarnten Schlags ins Gesicht des deftigen Lebens.
Noch mysteriöser geht es mit der Blume dem Maler Piet Mondrian. Mondrian, also jenem Maler, dessen Name mit der Vorstellung eines abstrakten Rasters schwarzer Linien mit roten, gelben oder blauen Farbfeldern untrennbar verbunden ist. Er wollte zur «reinen Gestaltung» vordringen und schwor den «launenhaften Naturerscheinung» ab. Es wird von ihm berichtet, dass er Bäume hasste und dass er sich in den Häusern immer so plazierte, dass er das Laub vor dem Fenster nicht sehen musste. Er malte aber Blumen – meist einzelne, selten Sträusse. Sein bekanntestes Blumenbild ist vielleicht die Chrysantheme im Guggenheim – die mit ihrem Gewirr an expressiv gebogenen schmalen Blütenblättern an einen van Gogh erinnert. Doch es gibt noch die anderen – Lilien im zarten Pastell. Amaryllis! Iris!
Mondrian selber behauptete, Blumen nur als Brotzustupf zu malen. Die verkauften sich nun mal besser. Aber er malte sie noch lang nach dem Eintritt in die abstrakte Phase und auch wenn die Meinung über die Qualität seiner Blumenaquarelle auseinander gehen, für mich stimmt die Behauptung des amerikansichen Dichters Joel Shapiro, der einst schrieb, niemand, der Mondrians Blumen kenne, könne ihrem Charme widerstehen. Die geistige Disziplin, welche Mondrians Suche nach dem Absoluten verlangte, brauchte vielleicht doch ein künstlerisches Ventil. Sieht man darum diesen Lilien so gar keine Geometrie an? Sie sind ganz zarte Schönheit. Kitsch?
Und da kommen unsere Schweizer Helden Fischli/Weiss ins Spiel. Die mit ihrer Serie «Blumen» ein für alle Male dem Kitschvorwurf der Blumenamalerei auf der Nase tanzten. Ihre überblendeten Photographien der lebendigen, ungeordneten, von Ameisen, Schnecken und Schmetterlingen angeknabberten Natur sind auf ihre Weise die unverschämteste Annäherung an das Sujet – bis heute noch. Die Arbeit stammt aus dem Jahr 1997/1998 und die Künstler entschieden sich, in der ihnen gewidmeten Ausstellung im Musée d’art moderne de la ville de Paris (eine Anspielung an Warhol?) 1998 nur diese Projektionen zu zeigen – in welchen Beeren, Moose, Blüten, Pilze und Fruchtkapseln auf eine fast schon unerträglich wunderbare Art ineinander kriechen, sich gegenseitig zu noch mehr Schönheit anstacheln und den Betrachter mit ihrer üppigen Präsenz fast ratlos, auf jeden Fall atemlos machen. Die Schönheit, die sie zeigen: farbig, reich, lichtdruchflutet – sie ist keine Metapher. Sie ist nur das, was sie ist. So «ungefiltert», dass die Kunst in ihr unsichtbar wird. Und so überwältigend, dass der Vorwurf des Kitschs auf den Lippen erstirbt.
Noch bis am 27. Oktober zeigt übrigens Toni Stoos im Museum der Moderne in Salzburg unter dem Fischli/Weiss nachempfundenen Titel «Flowers & Mushrooms» die florale Bandbreite der Kunst heute. Man hat hier etwas viel zusammengeängt, doch etwas ist auf den ersten Blick unübersehbar: Ob man heute Marc Quinn, David LaChappelle oder Carsten Höller heisst, dem allgegenwärtigen Blätter- und Blütenwerk kann keiner entkommen.
Publiziert im „Du“ Nr. 840, Oktober 2013