Yang Fudong ist der grosse Träumer unter Chinas Kunststars. In seinen hypnotischen Videos lungern junge Menschen in malerischen Gärten herum. Oder sie spazieren in Städten. Sie sind erregt, doch ziellos. Eine abgeklärte Weltmüdigkeit haftet den mandeläugigen Gesichtern an, es ist, als ob sie sich ihre Zeit nur vertrieben. Worauf warten sie?
Das erste Mal traf ich Yang Fudong in Shanghai, im Herbst 2007. Ich besuchte ihn in seiner Wohnung und wir sprachen über den dritten Teil seines Video-Poems «Seven Intellectuals in a Bamboo Forest». Frühling 2013 treffe ich ihn wieder, in der Kunsthalle Zürich, er ist hier zur Eröffnung seiner grossen Retrospektive gekommen. Seine langen Haare sind ein bisschen grau geworden, doch er ist der gleiche ernste und sanfte Mann. Er spricht leise, fast ohne den Mund aufzumachen, und lächelt manchmal schalkhaft.
Yang Fudong, 41, die Frisur mit Mittelscheitel bildet einen Rahmen für sein sanftes Buddha-Gesicht, beantwortet die Frage in der Kaffeeküche der Kunsthalle Zürich mit einem rätselhaften Lächeln. Und spricht leise vage Sätze wie: «Auch ein Künstler kann die soziale Wirklichkeit seines Landes nicht ausblenden.»
Es stimmt, die Wirklichkeit Chinas ist in diesen Videos ebenso allgegenwärtig wie die Sehnsucht nach Schönheit. Eine Fotoserie etwa zeigt eine Dame, wie sie in Begleitung ihrer Verehrer den berüchtigten Shanghaier Club M besucht. Die Bilder in Schwarzweiss evozieren die Romantik der Gangsterfilme aus den 1920er-Jahren. Und doch erzählen sie auch von der existenziellen Leere des heutigen Geldadels.
Den Saal daneben füllt – welcher Kontrast! – die erschütternde Installation «East of Que Village», die der Künstler in seiner Heimatgegend bei Bejing filmte (er wohnt jetzt in Shanghai). Auf den Monitoren der Installation tanzt der Wind, das Dorf Que ist verlassen und öde. Heimatlose Hunde, voll schwärender Wunden, laufen hier herum, nagen an Gerippen, beäugen magere Kühe. Auch hier Entwurzelung, Verlorenheit, unstillbarer Hunger – es stellen sich überraschenderweise ähnliche Gefühle ein wie beim Betrachten der Bilder von reichen Clubbern.
Die Ausstellung, welche die Zürcher Kunstinstitution dem begehrten Videodichter einrichtete, ist die erste dieser Grösse im Westen. Dennoch ist es keine Retrospektive, wie Co-Kurator Philippe Pirotte erklärt. Das berühmteste Werk etwa ist weggelassen worden, «weil man es schon zu gut kennt». Mit jenem Werk, «Seven Intellectuals in a Bamboo Forest», ist Yang Fudong erst richtig bekannt geworden. Das mehrteilige Epos war das Highlight der Venedig-Biennale von 2007 und hat mit seiner Nouvelle-Vague-Anmutung das westliche Publikum erobert. Yang Fudongs jüngst fertig gestelltes Video für das Modehaus Prada lebt von ähnlicher Ästhetik.
Nebst alten chinesischen Quellen (etwa der Geschichte über taoistische Weisen, die sich im 3. Jahrhundert von der Vulgarität des Stadtlebens in ein Bambuswäldchen zurückziehen) ist Yang Fudong auch von westlichen Vorbildern beeinflusst, vor allem von den Filmemachern, etwa Jean-Luc Godard oder Jim Jarmush. Zunächst ohne ihre Filme zu sehen – denn den Kunststudenten war in den 80er-Jahren ein Blick auf die verbotenen Früchte der westlichen Kultur nicht erlaubt. Sie stellten sich Filme, von welchen sie gehört hatten, aber lebhaft vor. Die spätere Begegnung mit den echten «A bout du souffle» oder «Stranger Than Paradise» war schön, wenn auch verwirrend.
Die Zürcher Schau überrascht vor allem mit der Entdeckung von Yang Fudongs Humor. Die Groteske traut man dem ernsten Poeten weniger zu – und doch begegnet man ihr hier, vor allem in den früheren Werken. Etwa in der Auftragsarbeit für Siemens aus dem Jahr 2003, in der der Künstler die Idee der Corporate Identity mit Anzügen verhöhnt, welche die Angestellten zusammenzippen oder verknoten.
Ein aufmüpfiger Witz im Stil Ai Weiweis blitzt in weiteren Werken auf. «The First Intellectual» etwa zeigt einen properen jungen Mann mit Anzug, Brille und Aktenköfferchen, der sich leicht linkisch anschickt, einen Pflasterstein zu schmeissen.
Zu seiner künstlerischen Zukunft befragt, antwortet Yang Fudong gewohnt vieldeutig. Er werde weiterhin disparate Protagonisten wie Hunde und Clubgänger mit der Kamera verfolgen, kündigt er an. Die Ausbreitung des Bilds im Raum, also Videoinstallation, werde aber eine kleinere Rolle in seinem Werk spielen. Er wolle fortan eher «Freestyle Cinema» machen. Weitere Details werden – sanft lächelnd – nicht verraten.
Yang Fudong, «Estranged Paradise», Kunsthalle Zürich, bis 26.5.
Publiziert in der SonntagsZeitung am 07.04.2013