Massimiliano Gionis Heimspiel

«Ich wollte mich selber überraschen» verriet mir der Direktor der diesjährigen Biennale, als ich ihn an den Eröffnungstagen sprach. Der netteste Kurator der internationalen Kunstszene zeigte zum ersten Mal seit ich ihn kenne leichte Stressanzeichen – verständlich bei dem Eröffnungs-Händeschüttel-Ansprachen-Interviewmarathon, den ein Biennale-Chef in diesen Tagen absolvieren muss. (Allerdings blieb Bice Curiger in diesen Tagen vor zwei Jahren gewohnt ruhig!). Seine Antworten waren aber genau so präzis und raffiniert wie man sich das von ihm gewohnt ist.

Der Italiener Massimiliano Gioni, 39, ist der Glückspilz der internationalen Kunstszene. Was er anfasst, wird gut: grosse Ausstellungen wie diejenige von Urs Fischer im New Museum New York, temporäre Kunstinstallationen für die Fondation Trussardi in Mailand. Beim Treffen in seiner Ausstellung «Il Palazzo Enciclopedico» in den Giardini wirkt der Biennale-Chef gestresst, verdrückt während des Gesprächs ein Sandwich. Doch bald kehrt die gewohnt gute Laune zurück, und Gioni gibt Einblicke in die Hintergründe seines Heimspiels in Venedig.

Sie sind der jüngste Biennale-Chef. Betrachtet man aber die Geburtsjahre der Künstler, ist Ihre Ausstellung die älteste. Ein Widerspruch?

Nein, das ist nur logisch. Ich gehöre einer Generation an, die mit Computern und Internet mitten in einem gigantischen Archiv aufgewachsen ist. Für uns ist die Vergangenheit nie vorbei und vergessen. Wir haben die Freiheit, unsere Geschichte neu zu schreiben.

Für Ihre neue Sicht haben Sie die Schweizer Heilerin Emma Kunz und den Spiritisten Aleister Crowley ausgegraben. Suchen Sie die Esoterik?

Nein, die Ausstellung ist keine Abhandlung über den Spiritismus! Mich beeindruckt nicht, dass jemand malt, weil es ihm die Geister befohlen haben. Ich finde aber die Werke, die unter visionären Voraussetzungen entstanden sind, oft wunderschön. Sie entfalten eine ungeheure Intensität.

Spielen für Ihre Biennale diese Outsider eine ähnliche Rolle wie die damals noch nicht bekannten Chinesen für Harald Szeemanns Biennale von 1999?

Outsider in der Kunst sind nicht meine Erfindung, gerade wenn wir von Szeemann reden. Sie waren immer ein Thema, doch ihre Bedeutung steigt weiter. Das wollte ich deutlich machen.

Auch der Titel der Schau ist von einem Fantasten geborgt: von Marino Auriti, der einen 136-stöckigen Palast bauen wollte, in dem das ganze Wissen der Welt gezeigt werden würde.

Auritis Modell – das im Mittelpunkt der Biennale steht – repräsentiert den Traum von einem universellen Wissen. Auriti liess sein Modell 1955 sogar patentieren. Doch natürlich wurde der Palast nie gebaut, denn wie jeder Anspruch auf Totalität war sein Projekt zum Scheitern verurteilt. Sein Traum aber hat überlebt.

Der Idee der Biennale liegt auch ein Traum zugrunde – dass man die ganze Kunst der Welt an einem Ort zusammenbringen kann.

Meine Biennale ist eher wie ein Museum auf Zeit angelegt. Mich interessiert, wie Bilder entstehen und wie die Menschen mithilfe von ihnen die Welt erklären.

Hat sich in diesem Prozess viel verändert?

Ja und nein. Das Medium der Kunst – das sind in einem zunehmenden Mass unsere Körper und unsere Gehirne geworden. Darum mache ich keinen Unterschied zwischen einem Outsider, der sich als Medium im strikten Sinn des Wortes sieht, und etwa der jungen französisch-marokkanischen Künstlerin Bouchra Khalili. Sie zeigt, dass auch die Jungen besessen sind.

Wovon?

Von der unerschöpflichen medialen Bilderflut. Die ist nicht weniger gebieterisch als Geisterstimmen.

Sehr viele junge Künstler …

… ja, das muss man doch auch sagen, dass es ebenso viele junge Künstler in der Ausstellung gibt wie Tote oder Alte …

… haben speziell für die Biennale entworfene Werke beigesteuert, die sich mit den Themen, die Sie vorgegeben haben, befassen. Zufall?

Nein, nicht ganz. Ich war es müde, die Rolle des Kurators darin zu sehen, eine gut bestückte Adressliste sein eigen zu nennen. Sie verstehen, diese Attitüde: Ich fliege jetzt für 24 Stunden nach Nigeria und besuche Künstler, die man mir empfohlen hat. Ich wollte gemeinsam etwas entwickeln.

Und die Künstler spielten mit?

Ich erinnere mich, dass ich ganz vorsichtig in den E-Mails schrieb: «das klingt vielleicht interventionistisch, aber hast du schon mal über das oder jenes nachgedacht …» Und die Künstler haben es mir nicht übel genommen, sondern tolle Werke beigesteuert.

Ihren Freund Maurizio Cattelan sucht man aber vergebens …

Sie werden keinen einzigen Künstler finden, der an der letzten Biennale dabei war. Ich wollte mich selber auch überraschen.

Welche Rolle hat es gespielt, dass für einmal ein Italiener die Biennale kuratiert?

Die Erwartungen sind vielleicht schon grösser, auch meine eigenen. Zudem ärgere ich mich auf Italienisch etwas deutlicher als auf Englisch (lacht). Aber wie Proust mal sagte, der grösste Roman scheint immer in einer fremden Sprache geschrieben zu sein. Und in Venedig spricht man meine Muttersprache.

Veröffentlicht in der SonntagsZeitung am 2. Juni 2013

About Ewa Hess

Swiss journalist, Editor Arts @Sonntagszeitung, Zürich

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