Im Limmattal hat das Zürcher Büro Fuhrimann Hächler ein modernes Märchenhaus für einen berühmten Künstler gebaut. Ich durfte als eine der ersten Gäste einen Blick reinwerfen. Der Künstler, der nicht namentlich genannt werden möchte, und den ich seit Jahren äusserst schätze, servierte uns Kaffee und Zuger Kirschtorte. Es war herrlich. Hier der Bericht:
Die Idylle trügt. Und doch ist sie auch ganz wahr. Die uralte Eiche, auf die der Blick durch ein gesprosstes Fenster des Wohnzimmers fällt, könnte echter nicht sein. Ein Bächlein rauscht an ihr vorbei.
Der international bekannte Schweizer Künstler (der seinen Namen hier nicht genannt haben möchte) hat sich sein Domizil in einer Limmattaler Gemeinde bauen lassen, die nicht gerade für ihre Lauschigkeit bekannt ist. Es ist eine Zürcher Agglomerationswohngegend, dominiert von einfallslosen Wohnsiedlungen und Einfamilienhäusern. Die Autobahn nach Bern führt in spürbarer Nähe vorbei.
Diese Wirklichkeit verschwindet beim Besuch im Haus hinter einer leichten Geländewölbung. Durch ein schlichtes Metalltor betritt man eine verwunschene Welt. Der Blick fällt auf ein niedriges Gebäude, einen Pavillon. Eine breite Treppe führt ums Haus herum. Folgt man ihr, entdeckt man die versteckte Dimension: Das Haus sitzt an einem steilen Hang und wächst sich unten beim Bach zu imponierender Grösse aus.
Die Architekten Gabrielle Hächler und Andreas Fuhrimann sind in Kunstkreisen das Büro der Wahl. Mehrfach preisgekrönt ist das eigenwillige Mehrfamilienhaus, das sie für sich selbst und die Künstlerin Pipilotti Rist am Fuss des Uetlibergs ersonnen haben. Auch das spektakuläre Ferienhaus der Galeristin Eva Presenhuber in Vnà stammt von ihrem Reissbrett.
Die Symbiose von Kunst und Architektur ist auch in diesem soeben fertiggestellten Künstlerhaus sofort erkennbar. Unter dem weit auskragenden Dach aus Well-Eternit wirkt das Haus wie ein vieldeutiges Kunstwerk. Mal meint man, einen japanischen Holzpavillon vor sich zu haben, und wird dann wieder an moderne Architektur Anfang des 20. Jahrhunderts erinnert. Vor allem das mächtige Dach und die Einbettung in die Natur lassen einen schnell an Frank Lloyd Wright denken. Das Baubudget lag im mittleren einstelligen Millionenbereich.
Der Bauherr brachte klare Vorstellungen in die Planungsarbeit mit ein. In Zusammenarbeit mit dem Architektenpaar ist das Haus zu einer «funktionierenden Skulptur» geworden. Wie eine solche spielt das Haus mit den Sehgewohnheiten des Betrachters. Es wirkt wie eine Scheune und wie ein herrschaftliches Anwesen zugleich. Auf den grossen, geländerlosen Terrassen, die das Haus im Terrain verankern, scheint es wie auf einem fliegenden Teppich zu schweben.
Im Innern wird das Spiel mit den Grössenverhältnissen weitergetrieben. Der zweigeschossige Wohnraum, fünf Meter hoch, wird links von einem immensen Cheminée beherrscht. Rechts befindet sich der Eingang zu einer niedrigen, ganz mit Holz ausgekleideten Schlafnische.
Wie Alice im Wunderland fühlt sich der Bewohner hier mal als Zwerg, mal als Riese. Bis sein Blick durch das hohe Fenster nach draussen fällt. Dort beruhigen eine alte, knorrige Eiche und ein Naturgarten am Bach die durcheinandergeratene Raumempfindung. Ein altes Bienenhaus wartet auf neue Völker.
Vieles hier ist gleichzeitig alt und neu. Der solide Eichenboden besteht aus künstlich gealterten Balken. Raue Türrahmen aus sandgestrahltem Holz kontrastieren effektvoll mit den Wänden, die ihre weiche Glätte einem mit Bienenwachs versiegelten Gipsverputz verdanken. Die Wischbewegungen sind noch sichtbar, Arbeitsspuren hiess man beim Bauen willkommen.
Das ganze Gebäude wurde aus vorfabrizierten Holzelementen erstellt, doch die Fassade ist mit Holzzementplatten verkleidet. Ein «billiges» Material, das man hier aufwendig verarbeitet hat. Kunstvoll greifen die unregelmässig zugeschnittenen Platten ineinander und bilden mit ihrer fleckig grauen Oberfläche ein komplexes Muster. In der Küche erinnern die roten Klinkerplatten des Bodens an eine Schweizer Mietwohnung, die stattliche Dimension des Raumes und die aus sandgestrahltem Holz eigens angefertigten Einbauten wirken hingegen «amerikanisierend».
Das Cheminée im Wohnzimmer ist die Nachbildung eines Kamins aus der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert aus New York, wo der Bauherr sein zweites Domizil hat. Auch die gerasterten Fensterflächen strahlen angelsächsische Gemütlichkeit aus. Beim näheren Hinsehen merkt man aber, dass die Sprossen aus industriellen Aluprofilen gefertigt sind – schon wieder ein gekonnter Stilbruch.
Das obere Stockwerk gehört dem Atelier. Hier, unter einem Oberlichtfenster, arbeitet der Bauherr an seinen künftigen Werken – Farb- und Materialproben belegen die Tische.
Auch dieser Raum ist, wie der Schlafraum, von oben bis unten mit Holz ausgekleidet. Eine knallgrüne, breite Treppe führt über die an ein Museum erinnernde Oberlichthalle zum Atelier, dem kreativen Kraftzentrum dieses wundersamen Hauses.
Andreas Fuhrimann Gabrielle Hächler Architekten
Bauten von Fuhrimann Hächler erkennt man an Material und Farbe. Beton trifft auf Glasflächen, grobes Holz auf Kunstharz. Das 1996 gegründete Büro des auch privat zusammengehörenden Paares sammelt Preise, zuletzt gewann der Zielturm des Ruderzentrums am Rotsee den «Wallpaper»-Design-Award 2014. Markant sind auch der einladend farbige Pavillon-Kiosk am Zürichsee und das Friedhofsgebäude in Erlenbach – eine archaische Betonkonstruktion.
Publiziert in der Sonntagszeitung am 7.4.2014